Wieso der Bio-Song der Coop so erfolgreich ist, und was Saturn mit Odysseus verbindet.
Als ich am Sonntagabend mit ein paar Freunden in unserer Stammbar, in der permanent Radio Energy läuft, Karten spielte, wurde es auf einmal empfindlich still im Raum. Unterhaltungen wurden mitten im Satz abgebrochen, Biergläser verharrten in der Luft, und selbst die alten Männer am Stammtisch in der Ecke vergassen für einige Sekunden an ihrer Pfeiffe zu ziehen. Der Bio-Song der Coop ertönte gedämpft aus den Lautsprechern, peinliche Blicke wurden ausgetauscht, ein verhaltenes Lachen, dann kehrte wieder Normalität ein. Trotz Fremdscham konnten es sich einige Barbesucher versuchten, an die unterbrochene Unterhaltung anzuknüpfen, kannten den Song nur zu gut.
Im folgenden Beitrag werde ich der Frage nachgehen, warum der Bio-Song der Coop so erfolgreich ist, und darzulegen versuchen, wieso Werbung immer Poesie sein muss. Und ja, die beiden Fragen haben sehr viel mit einander zu tun!
Je nach dem, wen man fragt, sollte Werbung eingängig sein, markant, innovativ, frisch, repräsentativ und glaubwürdig sein. Doch nebst alledem muss Werbung, und das wird immer wieder betont, vor allem ein Ziel erfüllen: man muss sie sich merken können. Um sich etwas merken zu können, muss man es erst einmal wahrnehmen. Die Zeiten, in denen Superlative diese Grundaufmerksamkeit noch erzeugen konnten, sind längst vorüber – jedes Produkt ist heutzutage das beste, ökologischste und neueste. Doch die Werbung hat spätestens seit dem berühmten Spot von Telegate einen neuen Weg gefunden: den Weg der grammatikalischen Verletzung.
Auch hier in der Schweiz ist dieser Werbetrick schon längst angekommen. Man denke nur an die Euro 08, für die sich die Stadt Zürich etwas ganz Besonderes ausgedacht hatte. Mit “Wir leben Zürich” gab sich die Stadt ein neues Motto, eine “Neupositionierung als Innovationsstandort”, ein “Zeichen des Destinationsmarketings”. (Zumindest versprachen sich die Marketingexperten der Stadt Zürich dies laut der offiziellen Website selbst, und gaben für die Lancierung dieses Slogans dann auch immerhin 2.9 Mio Franken aus.) Interressant ist dabei, dass die Marketingausgaben der Stadt Zürich niemals das Medienecho hätten heraufbeschwören können, welches der Slogan selbst verursachte. “Wir leben Zürich” ist und bleibt nämlich ungrammatisch – was unzählige Experten in Radiosendungen genüsslich immer, und immer wieder betonten, die Tageszeitungen kommentierten und die Lehrer mit ihren Stellungnahmen untermauerten. Die Aufregung darüber machte den Slogan zu einem Politikum, 100’000 Franken seien dafür schlichtweg eine Abzocke und die Werber sollten erst mal richtig schreiben lernen.
Die Annahme hingegen, dass die Texter von Advico durchaus des Deutschen mächtig sind, macht den Slogan vom Grundschulfehler zum Geniestreich – nämlich der bewussten Verletzung der Valenz von “leben” kombiniert mit einer Reorganisation sich prinzipiell ausschliessender Wortfelder. Das tönt jetzt zu kompliziert? Kein Wunder, denn es ist nichts anderes, als das Problem, mit dem sich jeder Dichter wie auch jeder Werber Tag für Tag herumzuschlagen hat. Er muss eine Aussage in möglichst komprimierter Form, kurz und prägnant in ein Schema einpassen, dass ihn mit unglaublich vielen Faktoren beschränkt. Angehörige beider Berufsgruppen greiffen deshalb oft in die Grammatik der Sprache selbst ein, verkürzen dort, wo etwas stören, und fügen an, wenn der Text noch länger werden muss. Mit einem einzigen Unterschied – beim Dichter ist es eher ein negatives Merkmal, wenn sein Gedicht voller Silbenkürzungen und Füllwörtern ist, der Werbetexter schlägt (siehe oben!) daraus sogar Kapital. Der Werber macht sich eine Schwäche der Dichter also zur Tugend.
Und es ist nicht die einzige! Bevor der Buchdruck erfunden wurde, stand die Menschheit immer wieder von dem Problem des Texttransportes. Papier war, wenn überhaupt vorhanden, sehr teuer, und nur wenige konnten überhaupt lesen und schreiben. Und dennoch kursierten überall Geschichten, sehr lange Geschichten – beispielsweise diejenige von Odysseus – die nur mündlich weitergegeben wurden. Eine imense Leistung, die nur dadurch möglich wurde, dass die Geschichten in Versen weitergegeben wurden, deren eingängiger Rhythmus jeden Fehler sofort bemerkbar machte. Zudem ermöglichten (vor allem in der mittelalterlichen Dichtung) die Reime ein schnelleres Auswendiglernen – die moderne Linguistik spricht hier von sogenannten “Priming-Effekten”. Das bedeutet ganz grob, dass das Hören eines Wortes (z.B. Maus) alle ähnlich tönenden Worte (Haus, Saus, Braus…) mitaktiviert und so deren Verarbeitung und Speicherung verschnellert und vereinfacht. Genau das, was jeder moderne Hitparadensong (und der Bio-Song der Coop ist dort ja mittlerweile angekommen) konsequent ausnutzt – einfache Reime, in stetiger Repetition. Undwas die Hitparade kann, können Werbetexter natürlich schon lange:
Dies ist ein studentischer Beitrag von Robert Reinecke, den er im Rahmen der Vorlesung “Online Marketing” verfasst hat. Robert Reinecke studiert Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, und Philosophie an der Universität Zürich.
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